Übersicht

BLANK SPACE – Institut für Zwischenraumstudien IfZS (English version below)

Ein Leipziger Bürger findet im Briefkasten einen handschriftlich an ihn adressierten Brief von einem „Institut für Zwischenraumstudien“. Er öffnet den Brief. Der Brief enthält – ein leeres Blatt. Was geht in dem Empfänger vor? Wirft er den Brief schulterzuckend weg? Stellt er Nachforschungen über das Institut an, um einen vermeintlichen Fehler aufzuklären? Geht er zur Polizei? Schreibt er gar einen empörten Leserbrief an die LVZ?

Würde er mit dem Brief anders umgehen, wenn er wüsste, dass es sich nicht um einen Irrtum handelt, sondern dass er ein Empfänger unter Tausenden ist im Rahmen einer langfristig angelegten Zustellaktion? Wenn er wüsste, dass er zufällig in ein Kunstwerk der Leipziger Medienkünstlerin Silke Fischer-Imsieke einbezogen wurde?
Das von ihr im Leipziger Westen betriebene Institut für Zwischenraumstudien IfZS befasst sich mit verschiedenen Ebenen des Zwischenraums, dabei erstreckt sich das Studiengebiet von interpersonellen über topografische bis hin zu grafischen und typografischen Zwischenräumen.

Die Aktion BLANK SPACE, eine zentrale Aufgabe des IfZS, fokussiert insbesondere die Potenz des leeren Zwischenraums. Was geschieht in einer Situation, die weitestgehend unbestimmt ist, die keinen Zweck, kein Ziel, keine Handlungsanweisung beinhaltet? Angesichts eines Alltags, der oft bis in den Freizeitbereich durchgeplant und zeitlich straff getaktet ist, sind solche Momente der Unbestimmtheit höchst selten. Leere stellt in diesem Zusammenhang fast eine Bedrohung dar, einen unerträglichen Zustand, der tunlichst vermieden wird. Doch was entsteht, wenn die Leere nicht als Abgrund, sondern als eine unendliche Fülle von Möglichkeiten wahrgenommen wird? Mit dieser Fragestellung im Hintergrund kann die Aktion BLANK SPACE als eine Geste des Schenkens verstanden werden. Mittels Briefen verteilt die HGB-Absolventin die Leerzeichen ihrer schriftlichen Diplomarbeit an eine zufällige Auswahl Leipziger Bürger. Je Brief wird ein Leerzeichen auf ein Blatt Papier gedruckt, das in seiner Eigenschaft als leerer Zwischenraum so nicht sichtbar wird. Die Empfänger erhalten ein „leeres“ Blatt Papier, einen Brief, der bis auf die Absender-Adresse keine weiteren Hinweise enthält.

Letztlich liegt es in der Hand der EmpfängerInnen, ob sie den Moment der Leere als Quelle „höchster“ Potenz annehmen oder als Belästigung empfinden. Mit 14.437 Leerzeichen und werktäglich einer Zustellung (Effizienz ist gerade nicht das Ziel) ist BLANK SPACE eine längerfristige Aktion, so dass Zeit und Raum für Entwicklung in alle möglichen Richtungen gegeben ist.

„Jedes Etwas   ist eine Feier   des Nichts   das es trägt“

John Cage

In Anlehnung an die Worte Cages dokumentiert die Künstlerin die Botengänge mit Fotografien und Zitaten zufällig gehörter Unterhaltungen, die zusammen mit dem jeweiligen Kartenmaterial archiviert werden. Ähnlich wie das Leerzeichen können die Botengänge als „leere“ Zwischenräume betrachtet werden, die durch Absender und Empfängeradresse gerahmt werden, innerhalb derer es jedoch keine weitere inhaltliche Bestimmung gibt.

Die zeitlichen und topografischen Zwischenräume der Botengänge dienen als Grundlage für die Erkundung des „Etwas“: Ohne eine thematische Ausrichtung sammelt S. Fischer-Imsieke die Situationen, Worte und Bilder, die ihr auf den Wegen begegnen; zufällige Begebenheiten, die in Summe jedoch einen sehr präzisen Einblick in die Stimmung einer Stadt und ihrer Bewohner gewähren.

Fernab von gängiger Stadtschreibung interessiert sie, was in den unzähligen Zwischensituationen geschieht, in den alltäglichen Interaktionen, die auf den ersten Blick unbedeutend, fast banal scheinen, die aber genaugenommen das widerspiegeln, was Jean-Luc Nancy als entwerkte Gemeinschaft bezeichnet, das „Zusammen-Erscheinen“ der Singularitäten. (vergl. Tosende Stille und randvolle Leere – über politische Dimensionen des künstlerischen „Nichts“, Fischer-Imsieke, Silke, 2013, S. 28ff)

Das Archiv kann als Einladung verstanden werden, mit Hilfe der gesammelten Bild- und Textfragmente in die Atmosphäre der Stadt einzutauchen, den Situationen und Themen einer bestimmten Zeit nachzuspüren, mit den eigenen Gedanken anzuknüpfen und die vielfältigen Verflechtungen wahrzunehmen.

Institute for Interstitial Studies (IfZS)

A citizen of Leipzig receives a letter with a handwritten envelope from an “Institute for Interstitial Studies.” The letter contains – a blank sheet of paper. What does he think? Will he discard the letter with a shrug? Will he try to contact the institute in order to report the suspected error? Will he call the police or even write an indignant letter to the local newspaper’s editor?

Would he treat the letter otherwise if he knew that he was not subject to a random error but that he is not alone. In fact, there will be thousands of recipients of empty letters in Leipzig. They all will be part of a long-term postal delivery project of the Leipzig-based media artist Silke Fischer-Imsieke.
She operates the Institute for Interstitial Studies from an office space in Leipzig’s westside. The institute’s areas of interest range from interpersonal and topographic to graphic and typographic interstitial spaces.

The BLANK SPACE project, one of the institute’s main activities, focuses on the possibilities that empty space entails. What happens in a situation that is not predetermined, that has neither purpose nor aim and that does not give instructions. This kind of indeterminacy has become rare in people’s lives where even recreational activities are often scheduled to the minute.

In this context, emptiness almost poses a threat to well-ordered life; an unbearable condition that must be avoided. But what happens if void, rather than as an abyss, is perceived as an infinite wealth of possibilities? With this notion in mind, BLANK SPACE may be regarded as an act of giving, the letters as gifts. The artist distributes the space characters of her diploma thesis, one character per letter, printed on a blank sheet of paper. The recipients will not know that there is actually a character printed on the sheet. Apart from the institute’s address, no hints are given.

In the end it is up to the recipients whether they will accept the moment of void as a source of possibilities or as a molestation. With 14,437 space characters and one delivery per working day (the project expressly does not aim at efficiency), BLANK SPACE is a long-term project that provides time and space for development in multiple directions.

“Each something   is a celebration   of the nothing   that supports it.”

— John Cage

Following Cage’s words, the artist documents the itineraries with photos and with quotes that she overheard. Similiar to space characters, the errands may be regarded as “empty” interstices that are framed by the sender’s and recipient’s addresses, with no further meaning in between.

The errands’ temporal and spatial interstices serve as a base for exploring the “something”: Without an overarching theme, S. Fischer-Imsieke collects situations, words, and images that she encounters on her itineraries. Accidental encounters that, taken in its entirety, provide a concise insight into the mood of a city and its inhabitants.

Far away from common urban historiography she is interested what happens in the countless interstitial situations, mundane interactions that seem banal at first sight but that actually reflect what Jean-Luc Nancy calls the communauté désœuvrée (inoperative community), the co-appearance of singularities. (cf. Tosende Stille und randvolle Leere – über politische Dimensionen des künstlerischen „Nichts“, Fischer-Imsieke, Silke, 2013, p. 28ff)

The archive with its text bites and images is an invitation to immerse into the atmosphere of a city, to trace and to reflect on the topics and phenomena of each time, and to sense the multi-faceted intertwingings.